Gutachten
Auftraggeberin
Stadt Oelde
Frau Stefanie Bathe-Funke
Ratsstiege 1
59302 Oelde
Projekt
Beratung zur Gründung einer eigenbetriebsähnlichen Einrichtung
Auftragnehmerin
Kommunal Agentur NRW GmbH
Cecilienallee 59
40474 Düsseldorf
Telefon: 0211 43077-0
Telefax: 0211 43077-22
Projekt-Nr./Datum
054 22 526 / 08.03.2023
Bearbeitung
Rechtsassessorin Viola Wallbaum
Beratung zur Gründung einer eigenbetriebsähnlichen Einrichtung
Inhalt
Inhalt .................................................................................................................. 2
1.
Einführung ................................................................................................ 3
1.1
Ausgangslage ...................................................................................... 3
1.2
Gesetzliche Grundlagen ...................................................................... 3
1.3
Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten ........................................... 3
2.
Organisationsformen ............................................................................... 3
2.1
Regiebetrieb ........................................................................................ 3
2.2
Eigenbetrieb ........................................................................................ 4
2.2.1
Organisation.................................................................................. 4
2.2.2
Personal........................................................................................ 5
2.2.3
Vergaberecht ................................................................................ 5
2.2.4
Finanzwirtschaft ............................................................................ 5
3.
Fazit ........................................................................................................... 6
3.1
Operative Flexibilität ............................................................................ 6
3.2
Finanzwirtschaft ................................................................................... 7
3.2.1
Auswirkung auf die Abwassergebühren ........................................ 7
3.2.1.1
Gleiche Vorgaben für die Gebührenkalkulation ....................... 7
3.2.1.2
Potential: Schuldenübertragung auf den Eigenbetrieb ............ 8
3.2.2
Potential: Transparenz .................................................................. 8
3.2.3
Potential: Neubewertung ............................................................... 8
3.2.4
Nachteil: Umstellungs- und Folgeaufwand .................................... 9
3.3
Abwägung Status Quo oder Eigenbetriebsähnliche Einrichtung..........10
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Beratung zur Gründung einer eigenbetriebsähnlichen Einrichtung
1. Einführung
1.1
Ausgangslage
Die Stadt Oelde hat derzeit die Abwasserbeseitigung in Form eines Regiebetriebs im städtischen Haushalt integriert. Vor dem Hintergrund der erforderlichen Ertüchtigung der Kläranlage und den damit einhergehenden Investitionsmaßnahmen stellt sich in Oelde die Frage, ob
eine Ausgliederung aus dem städtischen Haushalt und die Gründung einer eigenbetriebsähnlichen Einrichtung angezeigt ist.
1.2
Gesetzliche Grundlagen
Die Stadt ist aus ihrem Selbstverwaltungsrecht gem. Art. 28 Abs. 2 GG grundsätzlich darin
frei, wie und in welcher Rechtsform sie Aufgaben erledigt. Bedingung ist jedoch die Einhaltung
aller für die Stadt maßgeblichen Vorschriften. Solche Vorschriften sind im zu prüfenden Problemfeld vor allem:
1.3
Landeswassergesetz – LWG NRW
Gemeindeordnung – GO NRW
Verordnung über das Haushaltswesen der Kommunen – KomHVO NRW
Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten
Bei der Frage, ob eine bestimmte Organisationsform gewählt wird, muss immer auch der abgabenrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten beachtet werden (vgl. VGH BadenWürttemberg, Urteil vom 31.5.2010 – Az.: 2 S 2423/08 –; OVG Lüneburg, Urteil vom 11.5.2000
– Az.: 9 L 5646/98 –; umfassend: Brüning, Kommunale Organisationsentscheidungen im
Lichte gebührenrechtlicher Erforderlichkeit, KStZ 2010, S. 21ff.). Um diesem Grundsatz gerecht zu werden ist jedenfalls überschlägig zu prüfen, wie sich eine neue Organisationsform
mittel- bis langfristig (15 bis 20 Jahre) auf die Höhe der Benutzungsgebühren auswirkt. Der
Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten ist solange nicht verletzt, wie etwaige Mehrkosten
z.B. durch Synergieeffekte neutralisiert werden bzw. für die Beseitigung bestehender Missstände erforderlich sind (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 11.5.2000 - 9 L 5646/98 mwN.).
2. Organisationsformen
2.1
Regiebetrieb
Derzeit wird die Abwasserbeseitigung in Oelde in Form eines sog. Regiebetriebs – also unter
dem Dach der städtischen Ämterverwaltung – geführt. Der Regiebetrieb stellt die am wenigsten selbständige Organisationsform dar. Im Unterschied zum Eigenbetrieb ist er nicht nur
rechtlich Teil der Stadt, sondern auch wirtschaftlich. Er ist kein Sondervermögen, sondern ordnet sich in das Gefüge des „Konzern Stadt“ ein.
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Da der Regiebetrieb völlig in das städtische Haushaltsgebaren eingebunden ist, hat er keine
eigenständige Haushaltsführung, kein eigenständiges Rechnungswesen und auch keine
eigenständige Buchführung. Der Regiebetrieb ist in die Ämterverwaltung integriert und hat damit auch keine selbständige Leitung. Er ist somit weder rechtlich noch leitungs- und haushaltsmäßig verselbständigt, sondern wird vielmehr als Abteilung der Stadtverwaltung geführt. Die
Haushaltsführung richtet sich nach den Vorschriften für das kommunale Haushalts-, Kassenund Rechnungswesen, die Personalwirtschaft ist in den allgemeinen Stellenplan eingebunden.
Die Entscheidungen des Regiebetriebs werden nach den allgemeinen kommunalrechtlichen
Vorschriften unmittelbar durch Politik und Verwaltung getroffen. Vergaberechtlich ist der Regiebetrieb ebenso wie die Stadt insgesamt an die "Vergabegrundsätze für Gemeinden nach
§ 26 KomHVO (Kommunale Vergabegrundsätze)" vom 28.08.2018 (MBl. NRW 2018 S. 497)
gebunden (§ 26 Abs. 2 KomHVO).
2.2
2.2.1
Eigenbetrieb
Organisation
Auch der Eigenbetrieb i. S. d. § 114 GO NRW bzw. im Bereich der Abwasserbeseitigung die
eigenbetriebsähnliche Einrichtung (§ 107 Abs. 2 Satz 2 GO NRW) – im weiteren vereinfacht
Eigenbetrieb - hat keine eigene Rechtspersönlichkeit, ist rechtlich also mit der Stadt identisch.
Die wirtschaftliche Führung des Eigenbetriebs und insbesondere die Geschäfte der laufenden
Verwaltung obliegen der insoweit selbständigen Betriebsleitung (§ 2 Abs. 1 EigVO NRW). Um
das zu gewährleisten ist der Betriebsleitung in den Angelegenheiten des Eigenbetriebs (durch
die Betriebssatzung) ausreichende Selbständigkeit der Entschließung einzuräumen (vgl. § 114
Abs. 2 Satz 1 GO NRW).
Für den Eigenbetrieb ist ein eigener Betriebsausschuss zu gründen. Diesem sollen so weit wie
möglich die Zuständigkeiten des Rats übertragen werden (§ 114 Abs. 2 Satz 2 GO NRW).
Insbesondere setzt der Betriebsausschuss die allgemeinen Lieferbedingungen des Eigenbetriebs fest, er erteilt die Zustimmung zu Erfolg gefährdenden Mehraufwendungen und zu Mehrauszahlungen und schlägt der Gemeindeprüfungsanstalt eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft
für den Jahresabschluss vor. Beim Eigenbetrieb besteht – anders als beim Regiebetrieb – die
Möglichkeit, die ohnehin normierten Entscheidungskompetenzen der Betriebsleitung satzungsmäßig noch zu erweitern. Insgesamt bietet der Eigenbetrieb eine größere Handlungsund Entscheidungsfreiheit der verantwortlichen Akteure als der Regiebetrieb.
Die Gründung der Einrichtung ist dem Kreis als Aufsichtsbehörde spätestens sechs Wochen
vorab anzuzeigen (vgl. § 115 Abs. 1 lit. f GO NRW). Aus der Anzeige muss zu ersehen sein,
ob die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Der Anzeige muss daher unter anderem die
Eigenbetriebssatzung beigelegt werden. Die Gründung eines Eigenbetriebs erfordert konkret:
Aufstellung einer Eigenbetriebssatzung
Aufstellung einer Eröffnungsbilanz
Ggf. Aufstellung eines Ausgliederungsberichts
Wahl des Betriebsleiters
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2.2.2
Gründung des Betriebsausschusses
Aufstellung eines Wirtschaftsplans
Implementierung/Übernahme Softwareausstattung zur Buchführung, Geodatenverwaltung etc.
Personal
Hinsichtlich der Personalplanung hat der Eigenbetrieb eine Stellenübersicht als Bestandteil
des Wirtschaftsplans zu erstellen (§§ 14, 17 EigVO NRW). Der Rat der Stadt entscheidet dann
über Feststellung und Änderung des Wirtschaftsplans (§ 4 lit. b EigVO NRW). Dienstherr der
Beschäftigten des Eigenbetriebs ist stets der Bürgermeister (§ 6 Abs. 1 S. 1 EigVO NRW).
Lediglich die Befugnis zur Einstellung, Ein- oder Höhergruppierung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen kann auf die Betriebsleitung übertragen werden (§ 6 Abs. 1 S. 2 EigVO
NRW). In einem Eigenbetrieb können die Beschäftigten auf der Grundlage des Beamten- oder
Tarifrechts für den öffentlichen Dienst tätig werden. Mit Blick auf die Mitbestimmung kann es
entweder einen eigenen Personalrat des Eigenbetriebs geben, oder die Zuständigkeit liegt
beim Personalrat der Stadt.
2.2.3
Vergaberecht
Vergaberechtlich unterliegt die eigenbetriebsähnliche Einrichtung den gleichen Anforderungen
wie der Regiebetrieb. Auch die kommunalen Vergabegrundsätze gelten für die eigenbetriebsähnliche Einrichtung (Ziff. 1.1 des Runderlasses "Vergabegrundsätze für Gemeinden nach
§ 26 KomHVO - Kommunale Vergabegrundsätze" vom 28.08.2018).
2.2.4
Finanzwirtschaft
Der Eigenbetrieb bildet ein Sondervermögen der Stadt (§ 9 EigVO NRW) und hat seine Wirtschaftsführung, Vermögensverwaltung und Rechnungslegung so einzurichten, dass sie eine
gesonderte Beurteilung der Betriebsführung und des Betriebsergebnisses ermöglichen. Gem.
§ 19 Abs. 1 Satz 2 EigVO NRW muss die Buchführung des Eigenbetriebs den handelsrechtlichen Grundsätzen oder den für das Neue Kommunale Finanzmanagement geltenden
Grundsätzen entsprechen. Gem. § 19 Abs. 2 EigVO NRW finden die Vorschriften des Dritten
Buchs des Handelsgesetzbuchs (HGB) über Buchführung, Inventar und Aufbewahrung Anwendung. Dementsprechend ist der Eigenbetrieb verpflichtet, einen Jahresabschluss i. S. d.
§§ 238 ff. HGB zu erstellen. Hierbei hat er die im dritten Buch des HGB geregelten Ansatzund Bewertungsvorschriften für große KapG ebenso zu berücksichtigen wie die Vorschriften
über die Bilanz, die GuV, den Anhang und den Jahresabschluss. Anstelle eines Haushaltsplans hat der Eigenbetrieb einen Wirtschaftsplan aufzustellen, der nicht den Bindungen des
kommunalen Haushaltsrechts unterliegt. Der Wirtschaftsplan besteht aus einem Erfolgsplan,
einem Vermögensplan sowie der Stellenübersicht und ist dem Haushaltsplan der Stadt als
Anlage beizufügen. Gem. § 27 EigVO NRW ist für die Wirtschaftsführung und das Rechnungswesen der Eigenbetriebe wahlweise auch die Anwendung der Vorschriften der KomHVO NRW
zulässig.
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Bei der Errichtung eines Eigenbetriebs durch Ausgliederung von Vermögen und Schulden aus
dem Haushalt der Stadt sind deren Gegenstand und Wert in der Betriebssatzung festzusetzen.
Gleichzeitig sind in einem Ausgliederungsbericht die für die Angemessenheit der Einbringung
wesentlichen Umstände darzulegen. Die Eröffnungsbilanz für den neu zu errichtenden Eigenbetrieb richtet sich hinsichtlich der Ermittlung der Wertansätze nach § 55 KommHVO NRW.
Die Eröffnungsbilanz ist zu prüfen (§ 9 EigVO NRW). In der städtischen Bilanz wird das Sondervermögen entsprechend seiner Eröffnungsbilanz berücksichtigt. Zwar ist das Sondervermögen vorliegend kein eigener Rechtsträger; für die hier aber anzustellende wirtschaftliche
Betrachtungsweise ist zu berücksichtigen, dass das Sondervermögen wirtschaftlich verselbständigt ist. Deswegen werden die Sondervermögen im Rahmen des kommunalen Jahresabschlusses auch als gemeindliche Betriebe in Form der verselbständigten Aufgabenbereiche
behandelt. Die Beteiligung an einem Sondervermögen wird insoweit bei den Finanzanlagen
im kommunalen Abschluss angesetzt.
3. Fazit
3.1
Operative Flexibilität
Die grundsätzlich möglichen rechtlichen Organisationsformen unterscheiden sich unter anderem im jeweiligen Grad der operativen Flexibilität (Eigenverantwortlichkeit der Betriebsleitung,
kürzere Entscheidungswege, wirtschaftliche Unabhängigkeit etc.) voneinander. Dieser jeweiligen Flexibilität steht auf der Gegenseite immer ein entsprechender Grad an direkten Zugriffsmöglichkeiten durch Stadtverwaltung und politische Entscheidungsgremien gegenüber. Beide
Aspekte können, je nach Blickwinkel, sowohl als Vor- als auch Nachteil gewertet werden. Denn
höhere Flexibilität bedeutet immer auch weniger Gestaltungsraum durch Stadtverwaltung und
politische Entscheidungsgremien. Mehr Gestaltungsraum durch Stadtverwaltung und politische Entscheidungsgremien bedeutet immer weniger Flexibilität auf der operativen Ebene. Auf
einer Skala zwischen diesen beiden Aspekten lassen sich die möglichen Organisationsformen
etwa wie folgt einordnen:
Ersichtlich wird hier, dass Unterschiede hinsichtlich der operativen Flexibilität zwischen der
derzeitigen Betriebsform des Regiebetriebs einerseits und dem Eigenbetrieb andererseits
zwar vorhanden, aber nicht allzu stark ausgeprägt sind.
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Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass die im Hinblick auf die operative Flexibilität
stärkeren Organisationsformen der Anstalt des öffentlichen Rechts (AöR) und der GmbH mit
steuerrechtlichen Nachteilen behaftet sind.
3.2
3.2.1
Finanzwirtschaft
Auswirkung auf die Abwassergebühren
Zunächst ist festzuhalten, dass die Entscheidung zwischen einem Regiebetrieb (derzeitiger
Status Quo) und einem Eigenbetrieb keine strukturellen Auswirkungen auf die Abwassergebührenkalkulation und die Abwassergebührenhöhe hat. Zum einen wäre eine Erhöhung
wegen der Änderung der Organisationsform gar nicht zulässig (vgl. Ziff. 1.3 zum Grundsatz
der Erforderlichkeit der Kosten). Zum anderen berührt die Wahl der rechtlichen Organisationsform nicht die gesetzlichen Vorgaben für die Abwassergebührenkalkulation. Dieser Grundsatz
betrifft indessen nicht den Aufwand für die Implementierung eines Eigenbetriebs. Es liegt im
Organisationsermessen des Betreibers der öffentlichen Abwasseranlage aufgrund einer nachvollziehbaren Abwägung die Organisationsform zu wechseln. Im Rahmen einer sachgerechten
Ermessensentscheidung werden dem Implementierungsaufwand angemessene Vorteile für
die Aufgabenerfüllung gegenüberstehen.
3.2.1.1
Gleiche Vorgaben für die Gebührenkalkulation
Unabhängig von der rechtlichen Organisationsform werden im Hinblick auf die Abwassergebührenkalkulation weiter die Vorgaben des § 6 KAG NRW und die dazu ergehende jeweils
aktuelle Rechtsprechung zu beachten sein. Danach sind in jeder Organisationsform gleichermaßen die für die Aufgabenerfüllung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ansatzfähigen Kosten in die Abwassergebühr einzurechnen. Zu den Kosten gehören neben eigenen
Personal-, Sach- und Gemeinkosten auch Abschreibungen auf das betriebsnotwendige Anlagevermögen – wahlweise auf der Grundlage der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten
oder der Wiederbeschaffungszeitwerte. Ebenso gehört eine kalkulatorische Verzinsung des
betriebsnotwendigen Kapitals zu den ansatzfähigen Kosten sowie Entgelte für die in Anspruch
genommenen Leistungen Dritter.
Aufgrund dieser einheitlichen rechtlichen Vorgaben bleiben auch die Voraussetzung für einen
durch den Stadtrat festzulegenden sogenannten Kapitalrückfluss aus dem Abwassergebührenhaushalt an den allgemeinen Haushalt unabhängig von der Organisationsform des Abwasserbetriebs dieselben. Rückflüsse aus der kalkulatorischen Abschreibung und Verzinsung
sind nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgericht (OVG) NRW kein Geld
des Gebührenhaushalts, sondern können dem Kernhaushalt zur weiteren Verwendung zur
Verfügung gestellt werden, weil auch anderweitige Aufgaben der kommunalen Grundversorgung durch die Stadt zu erfüllen sind (Urteil vom 14.12.2004, Az.: 9 A 4187/01; Beschluss vom
22.08.2003, Az.: 9 A 4766/99; Urteile vom 01.09.1999, Az.: 9 A 5715/98 und 9 A 3342/98).
Auch das Meilenstein-Urteil des OVG NRW vom 17.05.2022 (Az.: 9 A 1019/20) enthält dazu
keine gegenteiligen Aussagen.
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3.2.1.2
Potential: Schuldenübertragung auf den Eigenbetrieb
Grundsätzlich können städtische Darlehen auf einen Abwasser-Eigenbetrieb übertragen
werden, sofern diese jedenfalls auch zur Finanzierung von Abwasseranlagevermögen Verwendung gefunden haben. Für die Gesamtbilanz der Stadt ergibt sich dabei im Ergebnis kein
Unterschied, da auch der Abwasser-Eigenbetrieb mit zu bilanzieren ist. Dennoch wird durch
die transparente Darstellung der verschiedenen Bilanzkreise der Kernhaushalt bei der Darstellung zunächst entlastet.
Indessen muss auch die Höhe der auf den Abwasser-Eigenbetrieb übertragenen Schulden
keine Auswirkung auf die Abwassergebührenhöhe haben. Gem. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 KAG
NRW kann im Rahmen der Gebührenkalkulation für das gesamte in der öffentlichen Abwasseranlage gebundene Kapital (also sowohl Eigen- als auch Fremdkapital) ein einheitlicher Nominalzinssatz angesetzt werden. Dieser ergibt sich aus dem 30-jährigen Durchschnitt der
Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer öffentlicher Emittenten. D. h.,
der Zinssatz für den gesamten Restbuchwert des Abwasseranlagevermögens (abzüglich Beiträge und Zuschüsse) hat für jeden Kalkulationszeitraum einen vorgeschriebenen Wert und
die Höhe der kalkulatorischen Zinsen ist von der Höhe des Fremdkapitalanteils und den entsprechenden Zinslasten unabhängig.
Zwar besteht alternativ auch die Möglichkeit, nach Eigen- und Fremdkapital getrennt ermittelte
Zinssätze zu verwenden, wobei für das in der Einrichtung gebundene Fremdkapital der durchschnittliche Fremdkapitalzins angesetzt werden darf. Ist dieser Fremdkapitalzins höher als der
30-jährigen Durchschnitt der Emissionsrenditen für festverzinsliche Wertpapiere inländischer
öffentlicher Emittenten, kann die Höhe der Verschuldung durchaus zu höheren in die Gebühr
einzustellende Zinsen führen. Dies ist indessen eine Entscheidung, die dem Stadtrat als politischem Entscheidungsgremium obliegt.
3.2.2
Potential: Transparenz
Als vorteilhaft für den Eigenbetrieb wird in der Regel angeführt, dass in seinem Rahmen die
Finanzierung von Aufgabenerfüllung sowie wechselseitige Leistungsbeziehungen transparent
dargestellt werden. Das ist im Grundsatz richtig. Es bleibt aber anzumerken, dass eine transparente Darstellung der Mittelverwendung und wechselseitiger Leistungsbeziehungen unter
den inzwischen herrschenden Regeln des Neuen Kommunalen Finanzmanagements auch im
Regiebetrieb möglich ist. Hierzu wäre indessen eine aktive Gestaltung erforderlich, während
die transparente wirtschaftliche Darstellung dem Eigenbetrieb als Sondervermögen der Stadt
bereits immanent ist.
3.2.3
Potential: Neubewertung
Soll mit der festzulegenden Organisationsform insbesondere eine vorteilhafte Darstellung in
der kommunalen Gesamtbilanz bewirkt werden, kann ein entsprechendes Potential allenfalls
in der Ermittlung der Wertansätze für die Eröffnungsbilanz nach vorsichtig geschätzten Zeit-
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werten gesehen werden. Eine solche Eröffnungsbilanz wäre für die Gründung eines Eigenbetriebs zu fertigen. Nach den allgemeinen Grundsätzen sind Vermögensgegenstände grundsätzlich mit den Anschaffungskosten anzusetzen (vergleiche § 34 Abs. 2 KomHVO). Der Übergang des Vermögens von einem Rechtsträger auf einen anderen stellt dabei grundsätzlich
einen Anschaffungsvorgang dar. Vorliegend wäre die Stadt an dem Sondervermögen - bei
wirtschaftlicher Betrachtung - „beteiligt“. In solchen Fällen werden für die Bewertung Tauschgrundsätze zu Grunde gelegt (Tausch Beteiligungsansatz mit Vermögen). Bei Tauschvorgängen werden nach der herrschenden Meinung im Handelsrecht Wahlrechte für die Bewertung
angenommen. Insoweit könnte das Vermögen im kommunalen Haushalt mit dem Buchwert,
dem Zeitwert oder einem Zwischenwert angesetzt werden. Ob diese Auffassung auch mit der
Auffassung der Kommunalaufsicht übereinstimmt, sollte bei Bedarf abgestimmt werden. Hier
ist zu berücksichtigen, dass in Oelde eine Neubewertung des Abwasseranlagevermögens bereits unabhängig von den Überlegungen zum Eigenbetrieb ansteht. Diese Neubewertung wäre
spätestens für die Eröffnungsbilanz durchzuführen.
3.2.4
Nachteil: Umstellungs- und Folgeaufwand
Die Gründung eines Eigenbetriebs wäre mit einem Umstellungs- bzw. Gründungs- und Folgeaufwand verbunden. Der Stadtrat müsste eine Eigenbetriebssatzung beschließen, welche zunächst von der Verwaltung zu entwerfen bzw. zu beauftragen wäre. Es müsste ein Betriebsausschuss gebildet sowie eine Betriebsleitung bestellt werden. Gegenstand und Wert von
überführtem Vermögen und Schulden wären in der Betriebssatzung festzusetzen. Gleichzeitig
wären in einem Ausgliederungsbericht die für die Angemessenheit der Einbringung wesentlichen Umstände darzulegen. Eine Eröffnungsbilanz wäre aufzustellen (inkl. Ggf. einer Neubewertung, vgl. Ziff. 3.2.2) und zu prüfen. Die dazu erforderlichen Vorbereitungsarbeiten
werden wahrscheinlich unter Zuhilfenahme eines externen Wirtschaftsprüfers erfolgen.
Ein nicht zu unterschätzender Aufwand wird erfahrungsgemäß auch mit der Schaffung eines
eigenständigen Buchungskreislaufs verursacht. Hier wäre ggf. unter Einbezug des Finanzbereichs eine neue Systematik aufzustellen, Schnittstellen zu organisieren etc. Derzeit wird die
gesamte Buchhaltung der Stadt Oelde auf eine neue Finanzsoftware umgestellt. Insbesondere
von dem diesbezüglichen Umsetzungsstand wäre auch der Einführungszeitpunkt für einen
Eigenbetrieb abhängig. Nicht zuletzt würde der Eigenbetrieb einen wirtschaftlich verselbständigten Aufgabenbereich der Stadt darstellen. Hiermit könnte einhergehen, dass die Stadt nicht
länger von der Pflicht, einen Gesamtabschluss und einen Gesamtlagebericht aufzustellen, befreit wäre. Voraussetzungen für eine Befreiung ist gem. § 116a Abs. 1 GO NRW, dass mindestens zwei der nachstehenden Merkmale zutreffen:
Die Bilanzsummen in den Bilanzen der Stadt und der einzubeziehenden verselbständigten Aufgabenbereiche übersteigen insgesamt nicht mehr als 1.500.000.000 €.
Die der Stadt zuzurechnenden Erträge aller verselbständigten Aufgabenbereiche
machen weniger als 50 % der ordentlichen Erträge der Ergebnisrechnung der Stadt
aus.
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Die der Stadt zuzurechnenden Bilanzsummen aller verselbständigten Aufgabenbereiche machen insgesamt weniger als 50 % der Bilanzsumme der Stadt aus.
Hinsichtlich der hierbei zu berücksichtigen Bilanzsumme liegt es nahe, diejenigen Beteiligungen zu berücksichtigen, die im Gesamtabschluss Gegenstand der gesonderten Betrachtung
sind: Unternehmen, die zu konsolidieren sind (in der Regel Beteiligungen mit einem Anteil von
mehr als 50 %) sowie solche, für die eine At-Equity-Bewertung (Erstbewertung der Bilanzposition zum Zeitpunkt des Erwerbs und Folgebewertung zu den Bilanzstichtagen der Folgeperioden mit Bilanzposition und zurechenbarem Gewinnanteil) vorzunehmen ist (in der Regel
Beteiligungen mit einem Anteil von 20 bis 50 %). Inwieweit sich durch eine Ausgliederung des
Abwasser- und/oder Kläranlagenbetriebs das Verhältnis zwischen den verselbständigten Aufgabenbereichen einerseits und der Bilanzsumme der Stadt andererseits so verschieben
würde, dass die Stadt eine ggf. bestehende Befreiung von der Pflicht zur Aufstellung eines
Gesamtabschlusses verlieren würde, ist anhand der entsprechenden Positionen aufzuzeigen.
Nach den bisherigen Informationen wäre in Oelde jedoch von dem Verlust der Befreiung auszugehen. Der sich durch die Pflicht zur Aufstellung eines Gesamtabschlusses ggf. ergebende
Mehraufwand kann grob mit derzeit 20.000 € jährlich netto veranschlagt werden.
3.3
Abwägung Status Quo oder Eigenbetriebsähnliche Einrichtung
Mit dem Eigenbetrieb könnte eine flexiblere und transparentere Durchführung der übertragenen Aufgaben bei im Vergleich mit dem Regiebetrieb größerer Eigenständigkeit und Verantwortlichkeit der Betriebsleitung möglich sein. Das liegt zum einen an dem eigenen Rechnungswesen des Eigenbetriebs mit Selbstkosten-, Gewinn- und Verlustrechnung, Bilanz und eigenem – aus dem Kernhaushalt herausgelösten – Haushalt. Zum anderen erlaubt die in Teilen
unabhängige Betriebsführung und die damit verbundene organisatorische Verselbständigung
eine bewegliche Durchführung der übertragenen Aufgaben. Entscheidungswege können dabei verkürzt und verstärkt an dem Gesichtspunkt der Effektivität ausgerichtet sein, da sie nicht
unmittelbar in das Gesamtgefüge der teilweise langwierigen Haushaltsplanung und -beratung
eingebunden sind. Die Sicherung von Mitteln für - teilweise auch kurzfristig - erforderliche Anschaffungen oder Strategieänderungen kann so zeitnah und wenig beratungsintensiv erfolgen.
Insbesondere für stark operativ geprägte Aufgaben werden so Vorteile durch kurzfristige Reaktionen auf geänderte oder gestiegene Anforderungen ermöglicht, die sich in einer wirtschaftlichen Aufgabenerfüllung bei hohem qualitativen Standard zeigen können.
Die transparente wirtschaftliche Darstellung als Sondervermögen kann sich insbesondere zur
Abbildung großer Investitionen anbieten. Abgewogen werden sollten diese Vorteile gegen den
unter Ziff. 3.2.3 dargestellten Nachteil des Umstellungs- und Folgeaufwands. Eine pauschale
Bezifferung dieses Aufwands ist angesichts der Unterschiede in Größe und Struktur solcher
Kommunen, die bereits einen Regiebetrieb in einen Eigenbetrieb umgewandelt haben, nicht
möglich.
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Soll zugunsten von wirtschaftlicher Transparenz und operativer Handlungsfähigkeit ein
Eigenbetrieb bzw. eine eigenbetriebsähnliche Einrichtung gegründet werden, erscheint es zur
Rechtfertigung des gegenüber zu stellenden Gründungsaufwands und zur Minimierung von
Schnittstellen zweckmäßig, den gesamten Aufgabenbereich der städtischen Abwasserbeseitigung in eine eigenbetriebsähnliche Einrichtung zu überführen. Optimal wäre dazu eine
konkrete Betrachtung der einzelnen Abwasserbeseitigungsprozesse, der zugehörigen Unterstützungsprozesse und der jeweiligen Schnittstellen dieser Prozesse zu anderen Aufgabenbereichen. Zwar wäre eine solche prozessbezogene Organisationsuntersuchung mit einem
nicht unerheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwand verbunden. Jedoch könnten aus einer
solchen Untersuchung konkrete Maßgaben zu Aufbau und Organisation des zukünftigen
Eigenbetriebs abgeleitet sowie Schnittstellen gestaltet werden.
ppa. Viola Wallbaum
i. A. Anja Marquardt
Kontakt
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Ihre Ansprechpartnerin:
Viola Wallbaum
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